Im Gespräch mit Jana

Engagiert für Data Science for Social Good Berlin

Wie können gemeinnützige Organisationen ihre Daten effektiver nutzen? Um das herauszufinden, organisiert der Verein Data Science for Social Good Berlin sogenannte Hackathons. Dort wird gemeinsam an den Datenproblemen von NGOs getüftelt, manchmal ein ganzes Wochenende lang. Das Engagement lohnt sich, erzählt Jana, die 2015 als ehrenamtliche Datenanalystin beim Verein angefangen hat. Denn der Elan und die Motivation, mit der sich die NGOs für eine nachhaltige Veränderung einsetzen, ist ansteckend. Und mit ihrer Arbeit trägt sie zu diesen Veränderungen bei.

Veröffentlicht

21. Oktober 2020

Geführt von

Claudia Haas

Jana, du engagierst dich als ehrenamtliche Datenanalystin bei Data Science for Social Good (DSSG) Berlin. Was macht dieser Verein und was sind seine Ziele?

Bei Data Science for Social Good Berlin setzen wir uns dafür ein, dass sich Nichtregierungsorganisationen, also NGOs, in Zukunft professionalisieren, indem sie sich weiter digitalisieren und datengetriebener1 arbeiten. Das heißt, dass sie Daten, die bei der Nutzung digitaler Infrastrukturen entstehen, die in einer Datenanalyse erfasst, aufbereitet und analysiert werden können. Auf Grundlage dieser Analyse können Engagement-Organisationen bspw. neue Handlungsfelder entdecken oder die eigene Wirksamkeit messen.Dabei unterstützt und begleitet unser zehnköpfiges Team die NGO-Projekte mithilfe von Data-Science-Beratung2. Wir wünschen uns, dass jede NGO weiß, an wen sie sich bei Beratungsbedarf wenden kann.

Welche Projekte begleitet Data Science for Social Good zum Beispiel?

Die Projekte sind ganz unterschiedlich. Übrigens: Unser Name Data Science for Social Good Berlin impliziert zwar, dass wir uns nur mit Datenanalysen auseinandersetzen, aber unsere Arbeit setzt tatsächlich oft schon eine Stufe vorher an: Es ist zutreffender zu sagen, dass wir grundsätzlich Beratung zu Digitalisierungsprozessen in NGOs anbieten. Denn bevor wir Daten analysieren können, müssen die Organisationen erst einmal gescheit Daten sammeln, sie in Datenbanken ablegen und verarbeitbar machen. Unser Hauptformat sind sogenannte Hackathons, bei denen gemeinsam an Datenproblemen getüftelt wird. Häufig sind NGOs aber noch nicht so weit, Daten überhaupt elektronisch zu erheben. In Bezug auf die digitalen Prozesse liegen sie zehn Schritte zurück und arbeiten noch mit manuell erstellten Tabellen oder Dokumenten, die sie sich per E-Mail hin- und herschicken. Deswegen bieten wir neben den Hackathons auch niedrigschwellige Beratungsstunden und Workshops an, bei denen wir uns zunächst einen Überblick darüber verschaffen, wie die Datenlage und -nutzung in der betreffenden NGO aussieht. Außerdem beraten wir die NGOs, wie man Daten sinnvoll abspeichert und mit welchen Tools man Arbeitsprozesse effizienter und digitaler gestaltet, sodass eine strukturierte Datenauswertung möglich wird. Unterstützen können wir die NGOs auch in Hinsicht auf Website-Traffic-Analysen, also Clickzahlen auf Webseiten. Social-Media-Datenauswertungen sind auch sehr beliebt. Aktuell betreuen wir ein Projekt, bei dem wir untersuchen, ob Social-Media-Kampagnen zu mehr Spendeneingängen führen. Unser größtes Projekt haben wir mit der Deutschen Krebsgesellschaft durchgeführt. Diese hatte immer noch händisch alle Publikation zum Thema Krebs sortiert, in verschiedene Themengebiete klassifiziert und Expert*innen zum Lesen gesendet. Weil die wissenschaftlichen Publikationen zum Thema jedes Jahr exponentiell ansteigen, haben sie realisiert, dass es ohne Automatisierung nicht mehr lange gut gehen wird, und uns konsultiert. Wir haben einen Hackathon zu der Problematik veranstaltet. Daraus hat sich im Anschluss sogar ein Freelancerteam gebildet, das eine Software zur Automatisierung der Sortierung aufgesetzt hat.

Was ist deine Rolle bei Data Science for Social Good Berlin?

Ich bin fast seit der Gründung dabei und gehöre zum Kern-Organisationsteam. Seit Kurzem bin ich auch im ehrenamtlichen Vorstand unseres Vereins, den wir Anfang letzten Jahres gegründet und seine Gemeinnützigkeit angemeldet haben. Eine weitere Aufgabe von mir ist die Projektbetreuung von NGOs, die sich bei uns melden. Das geht von der Erstberatung über Workshops bis hin zur Vorbereitung der Projekte für den Hackathon. Zudem leite ich andere, vor allem neuere Teammitglieder an und führe sie in unsere Vereinsprozesse ein. Wir Mitglieder treffen uns alle zwei Wochen bei einem Teammeeting und ein Mal im Halbjahr findet die Vereinsversammlung statt. Mein Engagement ist sehr fluide. Ich engagiere mich, wenn ich Zeit habe. Es gibt keine festen Zeiten. Unsere Workshops veranstalten wir nach der Arbeit, die Hackathons legen wir auf die Wochenenden. Im Zuge der Corona-Pandemie findet alles digital statt.

Was sind das für beispielhafte Schritte bei der Beratung einer Organisation? Es fängt mit einem Erstgespräch an, was kommt danach?

Im Regelfall kontaktieren uns NGOs per E-Mail oder über ein Formular auf unserer Website. Daraufhin meldet sich eines unserer Teammitglieder telefonisch bei ihnen, stellt unseren Verein vor und fragt ein paar Details zum Projekt ab. Danach prüfen wir, ob wir der NGO überhaupt helfen können. Große NGOs mit eigenen Data-Science-Teams können wir dann etwa beratend dabei unterstützen, eigene Projekte zu machen. Wir haben im Team entschieden, dass wir großen NGOs nicht unbedingt unseren Freiwilligenpool zur Verfügung stellen, denn sie haben in der Regel Geld genug, um Freelancer*innen stundenweise zu bezahlen. Wir wollen lieber kleine, mittelständische NGOs unterstützen, denen die Mittel fehlen für den Einkauf von Datenanalysen oder Consulting. Wenn wir einer NGO helfen wollen und können, wird zu dem entsprechenden Thema ein Workshop mit zwei bis drei Freiwilligen und den NGO-Vertretenden veranstaltet. Zusammen wird geprüft, welche Daten vorhanden sind, was die eigentliche Problemstellung ist und wie erste Lösungsansätze aussehen könnten. Manchmal können dafür auch öffentliche Daten einbezogen werden, zum Beispiel Daten des Einwohnermeldeamts. Bei größeren Projekten wird ein Hackathon veranstaltet, kleinere Projekte werden von einzelnen Freiwilligen als „Mini Projects“ individuell betreut. Typischerweise sitzen bei einem Hackathon zehn bis zwanzig Leute zu einem Thema zusammen und versuchen, Modelle zu kreieren, Daten- oder Textanalysen durchzuführen oder Visualisierungen umzusetzen – je nachdem. Um die Nachhaltigkeit der Projektentwicklung zu sichern, helfen die beteiligten DSSG-Freiwilligen der NGO, die Ergebnisse aus dem Hackathon aufzubereiten und zu bewerten. Um den Verlauf des Projekts zu prüfen, fragen wir nach einem Jahr noch mal nach. Für viele ist unsere Unterstützung ein Anfang, sich weiter zu digitalisieren und Tools effizient zu nutzen. Als Informatikerin bin ich manchmal erstaunt, wie gering die Kenntnisse von NGOs in Computertechnik und Datenmanagement sind. Ein vernünftiges Tool mit einer grafischen Oberfläche an die Hand zu geben, ist für uns sehr einfach und die NGOs sind sehr dankbar dafür. Auch wenn es keine Data Science ist, helfen wir gern. Wir schaffen damit eine Grundlage und hoffen, dass sie später wiederkommen, wenn sie mit den gesammelten Daten in ihrem digitalisierten System ein Projekt mit uns zusammen machen wollen. Das ist uns bisher leider noch nicht passiert, vielleicht müssen wir eine Dekade warten.

Angenommen, eine gemeinnützige Organisation hat diesen kritischen Punkt der Nutzung digitaler Tools erreicht und ist digital einigermaßen aufgestellt. Welche Datenquellen gibt es in Organisationen, die aus eurer Perspektive ungenutzt sind, aber Potenzial für Auswertungen haben?

Das ist ganz unterschiedlich. Zunächst mal sind das alle Daten, die mit den Kund*innen und dem Fundraising zu tun haben. Website-Tracking-Tools werden, zumindest soweit wir das überblicken, durchaus rudimentär genutzt. Anders ist das mit den kostenfreien Kontingenten zur Werbeschaltung von großen Unternehmen. Manche NGOs bekommen sie zwar, wissen sie aber nicht zu nutzen, das stellen wir leider immer wieder fest. Es gibt Kurse dafür, aber niemand hat Zeit, daran teilzunehmen. Ich würde mir wünschen, dass die NGOs solche Weiterbildungsangebote öfter annehmen. Ansonsten werden auch Social-Media-Daten immer wichtiger, gerade bei der Ansprache von jüngeren Zielgruppen. Die helfen zu verstehen, ob und mit welchen Inhalten man seine Zielgruppe erreicht und ob sich Spenden generieren lassen. Um die Kund*innenseite zu beobachten, sind KPIs3, also Erfolgsmetriken, die wichtigsten Daten, die die NGOs bestimmen sollten. Aus unserer Sicht lösen wir aber als Verein natürlich viel lieber Probleme des Kerngeschäftes von NGOs wie bei der Deutschen Krebsgesellschaft als KPIs auszuwerten. Es macht uns Spaß, bei der Digitalisierung oder Automatisierung eines Kernproblems zu helfen. Aber wenn es schon Marketing ist, dann ist natürlich Marketing für NGOs immer noch besser als Marketing für kommerzielle Firmen. Es ist ein Marketing für den guten Zweck. Das Herz geht freiwilligen Data Scientists auf, wenn sie sinnvolle Sachen tun können.

Wie lange dauert eure Unterstützung bei einem Projekt?

Auch das ist ganz unterschiedlich, es kann sehr schnell gehen, wenn die NGO motiviert ist. Dann vergehen vom Erstkontakt bis zum Hackathon vielleicht nur drei Monate. Aber es kann sich auch hinziehen. Bei NGOs gehören die Digitalisierungsprozesse oft nicht zum Kerngeschäft und bleiben deshalb schon mal liegen. Wir können das Projekt natürlich nicht alleine durchführen und sind auf ihre Mitarbeit angewiesen. Manchmal dauert ein Projekt deswegen etwas länger.

Wie seid ihr mit anderen Organisationen vernetzt?

Mit CorrelAid, einem anderen gemeinnützigen Verein mit Datenanalyst*innen, arbeiten wir immer wieder zusammen, reichen uns auch gegenseitig Projekte hin und her, weil wir unterschiedliche Themenschwerpunkte haben. Data Science for Social Good Berlin ist eher auf Hackathons spezialisiert, CorrelAid auf langfristige Projekte. Als sich aus unserem Freiwilligenpool einmal niemand für ein Projekt gefunden hat, haben wir die Anfrage an CorrelAid weitergereicht. Umgekehrt ist das auch schon passiert. Eine andere Organisation, mit der wir vernetzt sind, ist eine Agentur für digitales Marketing, TD-Reply, an die wir SEO4-Anfragen von NGOs weiterleiten. Ende 2019 haben wir angefangen, mit der betterplace academy Lerninhalte für NGOs zu erstellen.

Was treibt dich bei deinem Engagement für Data Science for Social Good an? Was macht dich glücklich?

Es macht mir Spaß. Wir Freiwilligen im Data-Science-Bereich sind fast alle bei Unternehmen angestellt, die mit kommerziellen Kund*innen viel Geld verdienen. Wir verstehen, dass NGOs diese Gehälter oder Beratung nicht zahlen können, finden es aber trotzdem wichtig, ihnen den Zugang zu dieser Dienstleistung zu ermöglichen, damit es in diesem Bereich auch vorwärtsgeht. Unserem Verständnis nach sollten auch NGOs datengetrieben arbeiten, damit sie mit der Wirtschaft mithalten können. Dahinter steht auch ein gewisser Gerechtigkeitssinn.

Momente wie die Abschlusspräsentation von unseren Hackathons machen mich glücklich. Es ist toll, davor und danach mit den NGO-Vertretenden zu sprechen, die wahnsinnig begeistert von dem sind, was sie dort gesehen und gelernt haben. Und zwar nicht nur über ihr Datenproblem, sondern wie sie in Zukunft generell besser mit ihren Daten arbeiten können. Wenn sie sich mit Freiwilligen hinsetzen und über andere Probleme und Lösungsansätze nachdenken, freue ich mich. Es ist schön, den Elan, die Motivation, die Erkenntnis bei den NGO-Vertretenden zu spüren und den Willen zu nachhaltiger Veränderung in Richtung datengetriebenes Arbeiten zu sehen. Ich glaube, dass wir damit nachhaltig etwas bewirken können und es immer weitere Kreise zieht, wenn eine NGO der anderen von unserer Hilfe erzählt. Es gibt auch andere Organisationen, wie zum Beispiel CorrelAid, die genauso gute Arbeit leisten wie wir – wer den NGOs da hilft, ist am Ende tatsächlich egal. Hauptsache, es wird ihnen geholfen. Für unsere freiwillige Arbeit bekommen wir eine große Dankbarkeit von den NGOs zurück.

Vielen Dank für das Gespräch, Jana!

  1. Bei der Nutzung digitaler Infrastrukturen entstehen Daten, die in einer Datenanalyse erfasst, aufbereitet und analysiert werden können. Auf Grundlage dieser Analyse können Engagement-Organisationen bspw. neue Handlungsfelder entdecken oder die eigene Wirksamkeit messen.
  2. Data Science (Deutsch: Datenwissenschaft) ist eine interdisziplinäre Wissenschaft, die sich mit der Gewinnung von Wissen aus Daten befasst.
  3. KPI (Englisch: key performance indicator) Darunter werden Kennzahlen verstanden, mit denen die Leistung von Organisations-Aktivitäten ermittelt werden kann, zum Beispiel die Anzahl der Besucher*innen einer Website oder die Responsequote bei einem Mailing.
  4. SEO (Englisch: search engine optimization) oder Suchmaschinenoptimierung bezeichnet Maßnahmen, die dazu dienen, Inhalte wie Webseiten, Videos und Bilder im organischen Suchmaschinenranking in den unbezahlten Suchergebnissen auf höheren Plätzen erscheinen zu lassen.