Im Gespräch mit Julia

Engagiert für Code for Germany

Frei und flexibel, so beschreibt Julia ihr ehrenamtliches Engagement bei Code for Germany. Fester Bestandteil der Gruppe ist sie seit 2018, als sie zum Soziologiestudium nach Osnabrück kam und dort zur lokalen Gruppe Code for Osnabrück stieß. Seitdem arbeitet sie mit großem Einsatz daran, ihre Programmierkenntnisse zu erweitern. Diese helfen ihr auch bei ihrer Aufgabe als Lab Lead, sie ist zuständig für die Organisation und Kommunikation der Osnabrücker Community.

Veröffentlicht

21. Oktober 2020

Geführt von

Claudia Haas

Julia, du engagierst dich bei Code for Germany. Erzähl doch mal, was ist Code for Germany?

Code for Germany ist formal eines der vielen Projekte der Open Knowledge Foundation Deutschland (OKF), ein Verein, der sich mit sämtlichen Themen rund um freies Wissen im weitesten Sinne beschäftigt. Wir sind ein breites Netzwerk, das sich dafür interessiert, wie Digitalisierung allen Menschen zugutekommen kann. Wir finden etwa, im Jahr 2020 sollte eine gewisse digitale Infrastruktur selbstverständlich sein. Zu dieser Infrastruktur gehört eine Mobilitäts-App, die mir sagt, wann mein Bus oder mein Zug kommt. Zwar gibt es viele Konzerne, die diese Art von Dienstleistungen anbieten, aber vor allem, um mit den Nutzer*innendaten am Ende ein profitables Geschäft zu machen. Den Bürger*innen sollten solche Alltagshelfer aber unabhängig von wirtschaftlichen Interessen zur Verfügung stehen. Deswegen wollen wir Civic Tech machen: Technik von Menschen für Menschen. Im Civic-Tech-Bereich gibt es viele unterschiedliche Menschen, die sich zu einem Netzwerk zusammenschließen: Leute, die politisch und gesellschaftlich aktiv sind oder praktisch Coder*innen; aber auch Designer*innen, Künstler*innen oder Historiker*innen. Bei uns kann jede*r mitmachen. Wir wollen erreichen, dass kompetente Leute, die Programme entwickeln können, überall in der Verwaltung und im Idealfall in jeder einzelnen Abteilung, eingestellt werden. Nur so schaffen wir es, in Deutschland digital für alle zu denken. Dabei versuchen wir herauszufinden, wie man Politik und Menschen im Bereich Digitalisierung näher zusammenbringen kann. Sehr oft erleben wir, dass Technik ein großes, abschreckendes Thema ist. Eigentlich arbeiten wir die ganze Zeit insgeheim daran, uns überflüssig zu machen. Und bis dahin haben wir kleine Experimentierfelder in unseren Open Knowledge Labs, mittlerweile sind es 26 in ganz Deutschland. Dort werden Sachen ausprobiert, Anwendungen geschrieben, Ausstellungen geplant oder Vorträge gehalten.

Ihr fungiert sozusagen als Schnittstelle zwischen Verwaltung und Zivilgesellschaft. Wie genau stellt ihr euch diese enge Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und Zivilgesellschaft vor?

Wir haben die Zusammenarbeit grundsätzlich auf mehr Partizipation angelegt. Mehr Partizipation bedeutet mehr Transparenz für Bürger*innen. Die wollen schließlich wissen, was ihre Stadtverwaltung macht, und bei bestimmten Sachen einbezogen oder gefragt werden. Verwaltung und Zivilgesellschaft sollen ein Stück näher zusammenrücken. Auch mit dem Leitgedanken von Open Government, das heißt, die Offenlegung von Regierungs- und Verwaltungsdaten gegenüber Bürger*innen. Das wird einerseits durch das Digitale möglich, aber andererseits lässt sich Digitalisierung nur vorantreiben, wenn auch die Begegnung vor Ort stattfindet. Wir haben uns mit der Zeit Erfahrung und viel Wissen angeeignet und freuen uns, wenn wir als Expert*innen herangezogen werden. Wichtig ist aber auch, dass unsere Leute in den Stadtverwaltungen arbeiten. In Münster und in Ulm konnten Mitglieder ihre Verwaltungen davon schon überzeugen. Ein Mitglied aus Münster ist in der Stadtverwaltung verantwortlich für das Thema Open Data, entwirft also ganz gezielt Strategien, um offene Daten in der Stadt zu verankern. Ein anderes Mitglied arbeitet dort als Zuständiger für das Thema Smart City. Wir verfolgen damit ein strukturelles Ziel. Denn man darf nicht vergessen: Wir machen das alle ehrenamtlich. Wir haben Spaß daran. Wir sind eine engagierte zivilgesellschaftliche Gruppe. Aber es wäre schön, wenn in Zukunft die Verwaltung diese Vermittlerrolle übernähme und wir dann als selbstverständlicher Teil der Gesellschaft Räume zur Verfügung gestellt bekämen. So wie es Sporthallen für Menschen gibt, die gerne Sport treiben, oder Bibliotheken für Menschen, die Lust auf Lesen haben. Wir brauchen einen Raum, wo sich die ganzen Nerds, die sich mit Digitalem beschäftigen, treffen und auch viel beitragen können. Klar, wir bauen nur Prototypen. Mehr können wir auch gar nicht leisten. Aber auch davon kann man als Stadt eine ganze Menge lernen, wenn Menschen einfach mal machen, experimentieren und Spaß daran haben.

Gibt es aktuelle Themen oder Projekte, mit denen ihr euch gerade neu oder viel beschäftigt?

Gerade findet das Thema Umwelt breite Aufmerksamkeit. Deswegen versuchen wir, alte und neue Projekte unter diesem Aspekt zu bündeln und sichtbar zu machen. Nehmen wir das Beispiel Pariser Klimaabkommen. Da gibt es natürlich städtische Informationen und Strategiepläne, bloß liest kaum jemand gerne 1.000 Seiten PDF. Wir haben uns gefragt, wie man das Abkommen zugänglicher machen kann. Einige Leute aus der Community haben sich dann überlegt, aus den Zahlen anschauliche Grafiken zu erstellen und generell an einer schöneren Darstellung gearbeitet.

Ein zweites wichtiges Thema ist Mobilität. Daran wird gerade stark im Verschwörhaus in Ulm in verschiedensten Projekten gearbeitet. Zum Beispiel mit OpenBike, einer Open-Source-Software für ein Fahrrad-Verleihsystem. Ein anderes Beispiel ist stadtnavi.de, eine Idee für eine Mobilitätsplattform, die von der Community angestoßen wurde und von der Stadt Herrenberg begeistert selbst umgesetzt wurde.

Im Zuge der Corona-Pandemie haben wir gemerkt, dass sich bei uns in den letzten Jahren viel Expertise angesammelt hat. Nun verschriftlichen wir das nach und nach. Ein Handbuch zum Thema Krisenresilienz von Verwaltungen haben wir bereits veröffentlicht. Damit wollen wir kommunizieren, dass Digitalisierung nicht nur ein Nice-to-have ist. Gerade während der Pandemie hat sich gezeigt, wie wichtig Online-Dienste sind. Verwaltungen sollten sich fragen, wie sie Lösungen für die Probleme der Bürger*innen zur Verfügung stellen können – und zwar als freie, von der Kommune entwickelte Software, die im Idealfall auch von allen anderen Kommunen genutzt werden kann. Dafür leisten wir sehr viel Aufklärungsarbeit in den Verwaltungen und in der Politik. Wir möchten die Politik unterstützen, nachhaltige Entscheidungen zu treffen, damit sie nicht etwas einkaufen, was im nächsten Jahr schon nicht mehr funktioniert oder zu viel kostet.

Mich interessiert, was genau du bei Code for Germany machst. Wie engagierst du dich dort?

Offiziell bin ich Lab Lead hier in Osnabrück. Das heißt, ich kümmere mich gemeinsam mit einer anderen Person um die Organisation von Treffen, begrüße neue Mitglieder, schreibe E-Mails und koordiniere Kooperationen. Ich halte Vorträge wie zum Beispiel bei der „Digitalen Woche” oder auf anderen Veranstaltungen im Technikbereich. Was wir bei unseren regelmäßigen Treffen tun, ist sehr vielfältig. Es gibt Treffen, bei denen reden wir viel und tauschen uns aus. Wir programmieren natürlich auch bzw. lernen, wie man Tools programmiert. Letztlich ist das auch mein persönliches Ziel.

Neben den eigenen Projekten, die wir vor Ort machen, arbeite ich auch mit anderen Code-for-Germany-Teams überregional zusammen. Zum Beispiel soll demnächst eine Trinkwasser-App, die schon vor Längerem entwickelt wurde, aktualisiert werden. Den großen Code für die App schreibt jemand anderes, aber die Trinkwasser-Daten für Osnabrück, die von der Osnabrücker Verwaltung bereitgestellt werden, liefere ich. Die Daten extrahiere ich automatisch, weil ich sie nicht von Hand kopieren will, und leite sie an das Entwickler*innen-Team weiter.

Dann bin ich natürlich auch daran beteiligt, eine Art Lobbyarbeit zu machen, indem wir uns dafür einsetzen, der Zivilgesellschaft im technischen Bereich eine Stimme zu geben. Wir stellen manchmal Forderungen oder schreiben einen offenen Brief. Wissensarbeit würde ich das nennen: sich Expertise aneignen, versuchen zu verstehen, wie Sachverhalte strukturell funktionieren und das dann wiederum anderen erklären. Dazu gehört zum Beispiel, zu wissen wie man eine Informationsfreiheitsanfrage stellt.

Code for Germany ist in seinem breiten Spektrum auf digitale Technologien ausgelegt. Ihr arbeitet mit offenen Daten und entwickelt auf dieser Basis unter anderem offene digitale Anwendungen als Open-Source-Software. Welches Potenzial seht ihr darin, digitale Techniken zu nutzen?

Das Digitale hat für uns vor allem große Verknüpfungseffekte, mit denen der Netzwerkcharakter überhaupt zustande kommen kann, weil wir ortsungebunden kommunizieren können, egal ob man in Berlin oder Osnabrück sitzt. Gesellschaftlich erleichtert es viele Dinge. Technik ist ein Werkzeug. Ich habe das Gefühl, viele nehmen Technik als gegeben hin und sehen gar nicht die Möglichkeiten. Man muss ja nicht selbst programmieren können, aber man sollte sich überlegen, ob bestimmte Probleme mit einer Software oder Technik einfach gelöst werden können.

Es gibt ein schönes Beispiel, bei dem Bürger*innen über den Zustand der Bäume in ihrem Kiez mehr wissen wollten. Aus den Verwaltungsdaten wurde daraufhin eine interaktive Karte gebaut, auf der einzelne Bäume ausgewählt und adoptiert werden können. Damit erklärt man sich bereit, diese Bäume regelmäßig zu gießen. Es gibt noch viele andere Beispiele, die zeigen, dass solche Kleinigkeiten unseren Alltag einfacher machen können. Uns geht es wirklich darum, wie wir in unseren Städten etwas zusammen bewegen können – und das möglichst sinnvoll.

Ich merke schon, dass du eine große Leidenschaft für die Projekte hast, die das Leben von Menschen erleichtern und gleichzeitig die Möglichkeit der Beteiligung bieten. Gibt es neben der Motivation, etwas zu lernen, noch weitere Antriebe für dein Engagement?

Tatsächlich ist es ein gesellschaftlicher Antrieb. Ich bin in der glücklichen Situation, dass ich studieren durfte und viele Dinge lernen konnte, die mich interessiert haben. Mich treibt der Impuls an, Menschen helfen zu wollen. Im digitalen Bereich gibt es viele Vorbehalte, die es nicht geben müsste. Ein umständliches, technisches System auf dem Bürgeramt macht mir zum Beispiel klar, dass man immer wieder darüber reden muss, Technik nicht einfach hinzunehmen. Wir müssen eine gesellschaftliche Debatte darüber anstoßen und den Bürger*innen vermitteln, „doch, auch du darfst in deiner Kommune einfordern, dass du per App behördliche Angelegenheiten erledigen kannst”. Aber nicht per Facebook, sondern als Infrastruktur, um sicher, verschlüsselt und direkt mit deiner Verwaltung kommunizieren zu können. Es ist mein Wunsch, in meiner Freizeit etwas zu tun, bei dem ich das Gefühl habe, dass etwas passiert, und das anderen Menschen weiterhilft. Glücklicherweise ist in diesem Bereich alles sehr flexibel und frei. Ich war viel unterwegs in den letzten zwei Jahren. Ein ortsgebundenes Ehrenamt hätte ich auch gern gemacht. Aber mit meinem Alltag und Lebensrhythmus, der wahnsinnig schnell, dicht und voll war, wäre das nicht zu vereinbaren gewesen.

Was sind die größten Herausforderungen bei deinem Engagement?

Generell wird digitales Ehrenamt nicht sehr unterstützt. Man muss immer erklären, was man eigentlich tut und warum das wichtig ist. Eigentlich würden wir uns wünschen, dass mehr Menschen mit wirklicher IT-Expertise im Bereich der öffentlichen Hand sitzen – in den Verwaltungen, in den Behörden. Herausfordernd ist auch zu erklären, dass wir niemandem etwas Böses wollen. Verwaltungsdaten zu veröffentlichen kann bedeuten, dass sich große, privatwirtschaftliche Konzerne die Daten zunutze machen. Aber im Zweifel könnten sie sich die Daten wahrscheinlich auch kaufen. Kleine Unternehmen, die auf Nutzung von Daten gründen, haben meist nicht die finanziellen Mittel, solche Daten einzukaufen. Dabei können durch solche Unternehmen auch neue Dienstleistungen entstehen, zum Beispiel für lokale Softwarehersteller. Das kann letztlich auch die Wirtschaft fördern. Eine weitere Herausforderung betrifft die Hardware: Manchmal wird nämlich vergessen wird, dass man so etwas wie Hardware braucht. Man braucht Infrastruktur, auf der alles läuft, Personal- und Serverkosten müssen bezahlt werden. Für uns als ehrenamtliche Community ist es manchmal schwierig, dass neue Projekte, die als innovativ bezeichnet werden, am ehesten Fördermittel erhalten. Das erschwert eine langfristige Wartung bestehender Projekte.

Wie finanziert sich denn Code for Germany bzw. Code for Osnabrück?

Das hängt von den lokalen Initiativen ab. Viele haben lokale Kooperationspartner*innen, die zum Beispiel Fördermittel von Organisationen wie Wikimedia bekommen. Durch verschiedenste Projektmittel gibt es eine beständige Community-Management-Stelle in Berlin. Das ist aber die einzige entlohnte Person, alle anderen Code-for-Engagierten sind ehrenamtlich tätig. Es ist ein großes Problem, an Geld zu kommen. Hier in Osnabrück brauchen wir nicht viel. Wir haben hier das Glück, dass wir uns in einem Firmenbüro treffen können. Und für das eine oder andere Projekt können wir die Open Knowledge Foundation um finanzielle Unterstützung bitten.

Gibt es einen Moment bei deinem Engagement, während deiner Zeit bei Code for Germany, der dich besonders glücklich gemacht, der dir in Erinnerung geblieben ist?

Ich finde es immer wieder schön, wenn in Vortragssituationen Menschen, die uns vorher nicht kannten, sagen, dass sie etwas dazu gelernt haben, dass sie den Bereich spannend finden und sich engagieren möchten. Oder wenn jemand den Austausch sucht. In Osnabrück sind wir mittlerweile ganz gut bekannt, sodass uns die richtigen Stellen fragen, wenn sie Unterstützung brauchen. Zum Beispiel, wenn die Stadt eine Ausschreibung veröffentlichen will und wir als Ansprechpartner der digitalen Zivilgesellschaft nach unserer Einschätzung gefragt werden. Das macht mich immer wieder total glücklich.

Vielen Dank für das Gespräch, Julia!